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Volkstrauertag am 15.11.2020

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Die Rede zum diesjährigen Volkstrauertag hielt Gemeinderat Prof. Rudolf Rübsamen:

Sehr geehrte Damen und Herren,
Frau Kaden hat im letzten Jahr im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Opfer der zwei Weltkriege uns alle eindringlich ermahnt und an erschreckenden Beispielen aus den letzten zwei Jahren auf die Dringlichkeit hingewiesen, Hass und Intoleranz, die sich wieder in unserer Gesellschaft breitmachen, nicht nur in die Schranken zu weisen, sondern aktiv zu bekämpfen. Wenn wir uns in unserem Land aktuell umschauen, und sehen, dass beides, Hass und Intoleranz, wieder offen gelebt werden, müssen wir uns fragen, ist ein Zurückdrängen überhaupt möglich? Ich bin der festen Überzeugung: Ja, es ist möglich, aber es kostet Kraft, wir müssen wachsam sein und wir dürfen uns nicht einbilden, die Aufgabe irgendwann als erledigt beiseiteschieben zu können.
In diesem Zusammenhang weist der Volkstrauertag, den wir heute begehen, schon in der Namensgebung auf ein Problem hin, mit dem wir uns, wenn wir das Gedenken ernst nehmen, auseinandersetzen müssen.
Im Namen sind zwei, nicht leicht zu verknüpfende Begriffe verbunden: ‚Volk‘ und ‚trauern‘.
Der heutige Tag ist ein Tag der Trauer. Aber was heißt trauern? Trauer ist eine persönliche Gemütsstimmung, hervorgerufen durch den Verlust einer geliebten Person oder auch durch einen ideellen Verlust. Trauer ist verbunden mit Niedergeschlagenheit und emotionaler Taubheit, aber der gefühlte Schmerz ist notwendig, das Trauern ist unverzichtbar, damit der Trauernde gestärkt aus dieser Krisensituation hervorgeht und nicht durch Verdrängung des als schicksalhaft Empfundenen im Negativen hängen bleibt. So gesehen liegt im Trauern auch der Samen des für jeden Menschen unverzichtbaren Hoffens auf Zukunft. Trauer wird überwunden durch Trauerarbeit, die der Trauernde aktiv leisten muss, und ‚Arbeit‘ verweist auf das uns Menschen eigene ‚Rationale‘. Ich trauere, aber aus der Trauer erwächst auch die Überwindung des Schmerzes, nicht in Form des Vergessens, sondern in der Form des Wissens um den Verlust und den geschärften Blick auf Zukünftiges und die Verantwortung sich selbst und seinen Mitmenschen gegenüber. Mit Rationalität, Verantwortung und Zukunft sind aber Dinge benannt, die starke Bindeglieder zwischen uns Menschen sind. Die Trauer ist etwas ureigens Persönliches‚ aber in seiner Überwindung können wir Menschen nicht nur zusammenfinden, sondern uns auch in unserem solidarischen, gemeinsamen Menschsein bestärken.
Ich werde diesen Gedanken gleich noch einmal aufgreifen, möchte aber zunächst den zweiten schwierigen Teil der Bezeichnung des heutigen Tags kurz beleuchten.

Der Begriff ‚Volk‘ ist schon deshalb gefährlich, weil verschiedene Menschen etwas sehr Verschiedenes darunter verstehen. So meinte der 1989 spontan in Leipzig entstandene Ruf „Wir sind das Volk“ das Volk in seiner Abgrenzung zur diktatorischen Staatsgewalt. Die Wandlung des Rufs zu „Wir sind ein Volk“ zielte zunächst darauf, die gegen die Protestierenden in Stellung gebrachten Sicherheitskräfte mit einzubeziehen und sie somit zum Gewaltverzicht aufzufordern.
Nun leben wir seit 30 Jahren in einem demokratisch legitimierten Staat und im Grundgesetz Art. 20 Abs. 2 heißt es „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ und das Staatsvolk übt seine Staatsgewalt unmittelbar durch Wahlen und Abstimmungen aus.
Seit 2014 wird auf Demonstrationen hier in Sachsen wieder „Wir sind das Volk“ gerufen, aber diesen Ruf hört man neben dem Ruf „Ausländer raus“, womit auch Menschen gemeint sind, die zum Staatsvolk gehören, d.h. die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Es soll wieder Menschen geben, die nicht dazugehören. Das hatten wir in der Generation meiner Eltern schon einmal und das führte zur größtmöglichen Katastrophe, derentwegen wir heute auch diesen Gedenktag begehen.
Die menschenverachtende Absurdität dieses Denkens wird auch daran deutlich, dass ein im Ersten Weltkrieg gefallener Deutscher Soldat am Volkstrauertag (der in den 1930er Jahren umbenannt worden war) vom Volk als Held verehrt wurde, derselbe Soldaten-Mensch aber, wenn er den Ersten Weltkrieg überlebt hatte, von demselben Volk, als Jude gebrandmarkt, nicht nur aus der (ich muss das Unwort aussprechen) Volksgemeinschaft ausgeschlossen, sondern als lebensunwert ermordet wurde.
Gerade auch im Gedenken an die 2 Mio. im Ersten Weltkrieg und die 5.5 Mio. im Zweiten Weltkrieg gefallenen deutscher Soldaten haben wir heute die Pflicht, uns gegen wieder aufkommende Verblendung und unverantwortliches Geschwätz zur Wehr zu setzen. Denn es gilt das zu verteidigen, was wir in den letzten 70 bzw. 30 Jahren in Europa erreicht haben.
Dazu folgendes Bild:
Wenn wir als Volk in Europa am heutigen Tag der Toten der Kriege gedenken, dann müssen wir all die in unser Gedenken mit einschließen, um die andere Europäischen Völker trauern, denn nur so überwinden wir, was zu den Kriegskatastrophen geführt hat. Wechselseitig darf das Gedenken an die Kriegstoten nicht die Form eines Gegeneinanders haben, es muss ein nach vorn gerichtetes Miteinander zum Ausdruck kommen.
Wenn ich im Urlaub mit meiner Familie nach Frankreich fahre, dann erfahren wir im Gastland unverkrampfte, unbeschwerte Freundlichkeit. Ich laufe über den Markt einer Gemeinde, etwa so groß wie Borsdorf und sehe neben der Kirche ein Mahnmal wie dieses hier bei uns. Auf diesem Mahnmal ist eine lange Liste von Namen und das jeweilige Todesjahr in den Stein gemeißelt, die Namen der Menschen aus dem Ort, die im Ersten und im Zweiten Weltkrieg gefallen sind. Dann wird mir klar, die heue gelebte Unbeschwertheit ist nicht selbstverständlich, sie ist das Ergebnis eines Prozesses, der von verantwortungsbewussten Franzosen und Deutschen angestoßen und von vielen Menschen auf beiden Seiten des Rheins beharrlich umgesetzt wurde. Zwei meiner Onkel haben als Soldaten im Zweiten Weltkrieg gegen den Erzfeind Frankreich gekämpft und ich, ihr Neffe, trinke entspannt einen guten Rotwein bei einem französischen Winzer, der auf deutsche Autos schwört und stolz seinen neuen Wagen zeigt.
Damit bin ich wieder auf der Ebene des Persönlichen, das was jeden Einzelnen von uns angeht. Wir gedenken der in den Kriegen gefallenen, aber daraus erwächst für jeden von uns die Verpflichtung mit geschärftem Blick, rational und verantwortungsvoll unseren Beitrag zur Gestaltung unserer Zukunft, einer friedlichen Zukunft zu leisten. Natürlich ist es schwer und anstrengend, aber, wenn wir den Anspruch haben, für uns selbst und für unsere Kinder verantwortlich zu handeln, haben wir keine andere Wahl.
Menschenverachtende Ideologien bildeten den Nährboden für Entwicklungen, die zum Ersten und zum Zweiten Weltkrieg führten, Ideologien, die einfache Erklärungsmodelle anboten und mit klaren Feindbildern arbeiteten. Heute verstehen wir das, und wir haben daraus gelernt. Aber wir können uns nicht auf dem Erreichten ausruhen, denn wir sehen, dass wieder ganz offen mit dem Begriff ‚Volk‘ in einer destruktiven, viele Menschen ausschließenden Weise gearbeitet wird. Wir müssen uns dagegen wehren, nicht mit gleicher Münze heimzahlen, aber mit klaren Argumenten die Verlogenheit und Falschheit der kruden Vorstellungen entlarven.
Das sind wir den Toten des Ersten und des Zweiten Weltkriegs schuldig und darin sind wir uns auch einig mit den Menschen in Frankreich, die vor vier Tagen, am 11. November, ihrer in den beiden Weltkriegen gefallenen Soldaten gedacht haben.
Was heißt das nun ganz konkret für uns hier in Borsdorf? Ich meine, wir müssen uns stärker um die jungen Menschen in unserer Gemeinde kümmern, die in ihrer jugendlichen Rebellionsphase Gefahr laufen, sich cool gebenden Rattenfängern auf den Leim zu gehen. Dem müssen und können wir etwas entgegensetzen. Es reicht nicht, auf die Schulen zu verweisen und zu sagen, politische Bildung sei deren Aufgabe. Ja, das stimmt, aber nur teilweise. Jugendliche brauchen (und das meine ich auch wörtlich) Räume in denen sie sich ausprobieren können, in denen sie sich als mitgestaltender Teil der (auch) sozialen Gemeinschaft unserer Gemeinde erfahren. Genau darauf zielt auch die m.E. sehr unterstützenswerte Idee von Frau Kaden ein Jugendparlament in unserer Gemeinde zu etablieren, ein Forum in dem die Jugendlichen früh gelebte Demokratie und die Wertschätzung ihrer Meinung erfahren und so hoffentlich besser gegen zerstörerischen, antidemokratischen Irrationalismus gefeit sind.

(Original-Rede von Prof. Rudolf Rübsamen)

Anschließend verlas Bürgermeisterin Birgit Kaden das Totengedenken:

TOTENGEDENKEN

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind. Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz.

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

Es fanden Kranzniederlegungen in Borsdorf, Panitzsch und Zweenfurth statt.